After Life

Serienkritik: After Life

Der britische Comedian Ricky Gervais ist nicht unbedingt bekannt dafür, ein besonders freundlicher Zeitgenosse zu sein. Zahlreiche Schauspieler, die in den Jahren 2010-12 und 2015 einen Golden Globe gewannen, werden sich daran wohl noch gut erinnern können, denn Gervais‘ fiese Moderationen sind legendär. Nun drehte der Brite für Netflix die Serie „After Life“, in der es um einen Witwer mit Wut auf die Welt geht. Wie finster und böse ist die?

Seit Ricky Gervais gemeinsam mit Kollege Stephen Merchant 1995 den Welterfolg „The Office“ schuf, gehört er zu den ganz großen Comedians der britischen Inseln. Zwar gab es in England nur zwölf Folgen und zwei Specials, die US-Version lief aber neun Jahre lang und kam dabei auf mehr als 200 Folgen. Und auch „Stromberg“ beruht auf diesem Original. Danach drehte Gervais erfolgreich weiterhin Serien wie „Extras“, die gern an die Schmerzgrenzen des Humors gingen. Was erwartet den Zuschauer nun bei After Life?

After Life
Da war die Welt noch in Ordnung: Tony mit Gattin Lisa und der gemeinsamen Hündin.

After Life: Die Handlung

Tony (Ricky Gervais) ist Journalist bei einer kleinen Zeitung, die kostenlos verteilt wird – und von seinem Schwager Matt (Tom Basden) geleitet wird. Eigentlich ist Tony ein netter Kerl, aber nachdem seine Frau Lisa (Kerry Godliman) an Brustkrebs stirbt, verwandelt sich der Witwer in eine Schreckensgestalt. Nachdem er nicht den Mut aufbrachte, sich das leben zu nehmen, ihm aber dennoch jeder Lebenswille fehlt, beschließt er, von jetzt ab gnadenlos offen und ehrlich zu sein und jedem zu sagen, was er denkt.

Weil Tony auch noch ziemlich clever ist und ihm vieles auffällt, sind seine Mitmenschen bald bis an die Grenzen ihrer Belastbarkeit mit der harten Realität durch Tony konfrontiert. Ob er Kollegin Kath in religiöse Debatten zwingt, bei denen er sie in der Luft zerreißt, oder einen Mitschüler seines Neffen mit dem Tod durch Hammerschläge bedroht: Der immer noch von Wut und Schmerz zerfressene Witwer ist eine Zumutung für seine Umwelt. Doch das entspricht nicht dem letzten Wunsch seiner Frau, die ihn als witzigen, freundlichen Mann leben sehen möchte …

After Life: Da, wo es weh tut

Man muss Ricky Gervais für seine Direktheit und sein Aufgreifen von Tabuthemen nicht unbedingt mögen – aber man kann – doch eines muss man dem 57-jährigen definitiv zugestehen: Angst kennt er nicht. Denn auch in After Life beschäftigt sich Gervais mit Themen, über die noch nicht so häufig Comedy-Serien gedreht wurden – mit gutem Grund. So offen wie Gervais in seinen Monologen und Dialogen mit anderen Schauspielern über Selbstmord und das Sprengen gesellschaftlicher Konventionen spricht, ist das Konzept radikal und frisch.

Was nicht bedeutet, dass es jedem gefallen wird, das war Gervais allerdings auch noch nie wichtig. Denn er geht in After Life mit seiner Figur nicht freundlicher um als mit den anderen. Das führt dazu, dass die erste Folge der neuen Serie den Zuschauer eher sprachlos zurücklässt. Denn lustig ist die kaum, dafür entwickelt der Zuschauer eine deutliche Abneigung gegen Tony und sein rabiates Verhalten. Aber hier sollte man sich noch mindestens eine weitere Folge gönnen, denn schon mit der zweiten Episode läuft After Life zu großer Form auf.

After Life
Während die Kollegen Spaß im neuen Comedy-Club der Stadt haben, hat Tony keinen Grund zum Lachen.

After Life: Comedy über den Tellerrand

Gervais, der neben Hauptrolle auch Buch und Regie übernahm, gelingt das Kunststück, seine Serie ebenso tragisch wie komisch zu erzählen – und das kann innerhalb von Sekunden von der einen zur anderen Seite kippen. Eben noch möchte man die fiesen Witwer für seine Gemeinheiten durchschütteln, im nächsten Moment kümmert er sich liebevoll um seine Hündin, die für ihn der einzige Grund ist, überhaupt noch am Leben zu sein. Und das geht einfach zu Herzen. After Life ist zweifelsohne Gervais‘ bisher reifstes Werk als Autor.

Dazu schafft er es in den kurzen sechs Episoden immer wieder, das Publikum zu überraschen. So nimmt er die Prostituierte, die ihm anbietet, für 50 Pfund alles zu tun was er will, tatsächlich mit nach Hause. Und lässt sie dort abwaschen. Um sich später mit ihr sogar ein wenig anzufreunden. Und wenig später beim Besuch des demenzkranken Vaters (David Bradley) wieder ihn Agonie zu verfallen, weil der ihn ständig nach dem Befinden seiner toten Frau fragt und sich Lisas Tod nicht mehr merken kann. Darüber Comedy zu machen, braucht schon Eier.

Wer nun aber eine beständige Schimpftirade Gervais‘ auf die Welt über sechs Folgen erwartet, liegt falsch. Denn Tony macht in den Episoden durchaus eine Entwicklung durch und hat Bewegung in seiner Trauerarbeit. Und das schreibt und spielt Gervais trotz aller Bösartigkeiten so hoffnungs- und würdevoll, dass After Life einen bleibenden Eindruck hinterlässt. Dadurch, dass Gervais mit Todesverachtung auch die heikelsten Themen angeht. Und darüber, mit welcher ungeahnten Sensibilität er das macht. Nach „Sex Education“ die nächste großartige britische Serie bei Netflix.

Fazit:

Mit After Life legt Ricky Gervais einen schwachen Start hin, die erste Folge bietet wenig Grund zum Weiterschauen. Was der britische Comedian dann aber in den weiteren fünf Episoden an Humor, Drama, Melancholie, Tod und Wahnsinn auf den Bildschirm zaubert, entschädigt für den lauen Auftakt mehr als genug. Gervais beweist nicht nur Tapferkeit bei seiner Themenauswahl, sondern auch eine Feinfühligkeit, die man dem sonst oft so groben Klotz kaum zutraut. Großartige Unterhaltung mit Tiefgang aus England!

After Life startet am 8. März 2019 bei Netflix.

Gesehen: Sechs von sechs Folgen

After Life
Mit einer Witwe, die Tony auf dem Friedhof kennen lernt, führt Tony Gespräche, die ihm tatsächlich weiterhelfen.