Wolfsnächte

Filmkritik: Wolfsnächte

Mit „Green Room“ legte Regisseur Jeremy Saulnier 2015 einen harten und kompromisslosen Thriller um eine Punkband in den Fängen einer Neonazi-Truppe vor, nun folgt mit „Wolfsnächte“ sein nächstes Werk. Bleibt der ehemalige Kameramann auch mit diesem Thriller, den er für Netflix drehte, seiner Linie treu und nimmt wenig Rücksicht auf die Nerven seines Publikums? Das verrät die Kritik.

Als Regisseur scheint sich der 42-jährige Amerikaner für den Mainstream nicht so recht erwärmen zu können. Sein Debüt „Blue Ruin“ ist eine derbe Rachestory, der Nachfolger Green Room punktete mit viel Härte und gnadenlosem Überlebenskampf. Wolfsnächte passt ebenfalls gut ins bisherige Schaffen Saulniers, denn auch hier mischt der Regisseur zarte Momente mit heftigen Gewaltausbrüchen. Funktioniert der eisige Thriller für Thriller-Fans? Kann er sogar noch mehr?

Wolfsnächte
Core lässt sich von Melora die Stelle zeigen, an der die Wölfe ihren Sohn angegriffen haben.

Wolfsnächte: Die Handlung

Der Wolfsexperte und Schriftsteller Russell Core (Jeremy Wright, „Westworld“) wird von der jungen Melora Sloane (Riley Keough) zu Hilfe gerufen. Die im hohen Norden Alaskas lebende junge Frau hat ihren Sohn an ein Wolfsrudel verloren und bittet Core darum, das Rudel zu töten. Weil der Experte mittlerweile selbst eine Art einsamer Wolf ist und nichts Besseres zu tun hat, nimmt er die Reise auf sich und besucht die trauernde Frau. Doch bald kommen Core erste Zweifel an Meloras Geschichte.

Denn sie scheint mehr Angst davor zu haben, was ihr Mann Vernon (Alexander Skarsgard) tun wird, wenn er aus dem Krieg heimkommt, als sich wirklich Gedanken um ihren toten Sohn zu machen. Als Core dann entdeckt, dass die Wölfe womöglich gar nicht für den Tod des Kindes verantwortlich sind, tritt er damit eine Spirale der Gewalt los, die den kleinen Ort im ewigen Eis in ein Meer von Blut taucht. Und den Schriftsteller bis an seine Grenzen treibt. Denn Vernon hat in der Tat eine ganz eigene Sicht auf die Dinge …

Wolfsnächte: Mehr als ein Thriller

Hat Saulnier in seinen früheren Filmen bereits hier und da aufblitzen lassen, dass er durchaus mehr erzählen kann als die reine Geschichte, so gelingt ihm das bei Wolfsnächte auf einem deutlich höheren Niveau als zuvor. Denn sein Film, der auf einem Roman basiert, lässt zwei unterschiedliche Ausprägungen des menschlichen Raubtieres aufeinander los. Während Wright den zivilisierten Teil übernimmt, der sich als soziales Wesen nach einem Rudel sehnt, gibt Skarsgard brillant kalt den ruhigen Killer, für den das Töten keine große Sache ist, wenn es ihm gerechtfertigt scheint.

Diesen Wolf im Mann inszeniert Saulnier als Parabel auf die Natur des Menschen und seinen Platz in der Natur. Und nutzt dafür eindrucksvoll die unbarmherzige Landschaft Alaskas als Kulisse. So karg wie diese sind auch die Dialoge im Film. Wolfsnächte kommt mit wenig Worten aus, erzählt große Teile der Geschichte über Blicke, kleine Gesten und Bewegungen. Und unterstreicht so auch nochmals den animalischen Aspekt seiner Erzählung. Saulnier findet klare Bilder für seine deprimierende Botschaft und präsentiert einen Film, der kaum kalt lässt.

Wolfsnächte
Doch je länger der erfahrene Jäger sich umsieht, desto mehr Zweifel kommen ihm an der Geschichte.

Wolfsnächte: Laut und leise

Der Regisseur zeigt sich darüber hinaus als Meister der leisen und lauten Töne. Während er die Annäherung Cores an die seltsam lethargisch trauernde Mutter in behutsame, fast zarte Bilder packt, liefert er zur Mitte des zweistündigen Films eine derart harten Shoot-Out, dass Dirty Harry seine Freude gehabt hätte. Und doch passt beides gut in den Film, hier wirkt nichts deplatziert, unglaubwürdig oder übertrieben, obwohl Saulnier keine Story von der Stange erzählt und seinem Publikum durchaus einiges abverlangt.

Denn die wenigen Szenen, die als Erklärung für das Geschehen dienen, sind eher subtil als klar und lassen viel Spielraum für Interpretationen. Erst im letzten Drittel des Films verlässt Saulnier ein wenig der Mut und er zeigt deutlichere Bilder, als die Geschichte gebraucht hätte, um zu funktionieren. So lässt er beispielsweise den dämonischen Vernon mit einer hölzernen Wolfsmaske auftreten. Derart platte Momente verwässern den bis dahin extrem starken Film noch ein wenig, wirklich schaden können sie dem sehr guten Gesamteindruck aber nicht mehr.

Stars des Films sind eindeutig Wright und Skarsgard, obwohl letzterer in den ersten 45 Minuten kaum auftaucht. Ist er aber erst einmal da, gelingt es ihm, mit minimalem Spiel einen furchterregenden Charakter lebendig werden zu lassen, vor dem der alte Wolf Wright gehörigen Respekt hat. Gegen dieses Duell haben die ebenfalls gut agierenden Riley Keough und James Badge Dale, der den Sheriff des Ortes spielt, keine Chance. Ein Thriller, der sich den meisten Erwartungen konsequent verweigert – und manchen gerade deshalb packt.

Fazit:

Wolfsnächte ist intelligentes, aber manchmal anstregendes Kino, dass weder seine Charaktere noch die Zuschauer schont. Saulnier erzählt seine desillusionierende Sicht auf die Bestie Mensch in kühlen Bildern, mit wenig Text und viel Subtext und schafft so einen Thriller, der mehr ist als er scheint. Der aber genau deshalb sicher auch nicht jedem gefallen wird. 

Wolfsnächte ist ab dem 28. September 2018 bei Netflix zu sehen.

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Bis er ein grausiges Geheimnis entdeckt, dass eine Welle der Gewalt lostritt.