Utoya

Filmkritik: Utoya 22. Juli

Das Attentat von Anders Breiwik auf ein Camp von Jugendlichen gehört zu den schlimmsten Ereignissen der jüngeren europäischen Geschichte. Nun hat der norwegische Regisseur Erik Poppe mit „Utoya 22. Juli“ daraus einen Film gemacht. Allerdings interessiert sich Poppe nicht für den Täter, sondern ausschließlich für die Opfer. Und löste damit eine Diskussion aus: Darf man über so ein Verbrechen einen Film machen?

Auf Festivals wurde Utoya 22. Juli bereits gezeigt und durchaus kontrovers aufgenommen. Denn Poppe erzählt zwar vom realen Ereignis, aber mit fiktiven Personen. Die junge Kaya, der das Publikum über quälende 90 Minuten folgt, hat es so nicht gegeben. Aber viele andere wie sie. Mit denen hat Poppe lange gesprochen und danach behauptet, die Erfahrung dieser Überlebenden in seinem Film verarbeitet zu haben. Darf man so arbeiten?

Utoya 22. Juli: Die Handlung

Zuerst sehen wir echte Bilder von den Bombenanschlägen in Oslo vom gleichen Tag, die auch auf Breviks Konto gingen. Dann lernen wir die 18-jährige Kaya (Andrea Berntzen) kennen, die mit ihrer jüngeren Schwester Emili (Elli Riannon Müller Osborne) Urlaub auf Utoya macht – im Rahmen einer Einladung der sozialdemokratischen Arbeiterpartei. Kaya ist sauer auf Emilie, weil ihre Mutter sie nicht erreichen konnte und deshalb bei Kaya angerufen hat. Die Schwestern streiten – und Kaya lässt Emilie im Zelt allein. Und trifft sich mit Freunden.

Als die Schüsse zu hören sind, herrscht im Camp kurz Unsicherheit, worum es sich dabei handelt. Doch dann fliehen Menschen panisch aus dem Wald an Kaya und den anderen vorbei und die jungen Leute verstehen, dass es besser ist, sich vorsichtshalber in Sicherheit zu bringen. Zwar ist immer wieder von Übung die Rede, doch sicher ist sich niemand. Als sich ihre Clique in Sicherheit bringen will, bleibt Kaya zurück. Sie muss unter allen Umständen ihre Schwester finden, vorher kann sie Utoya nicht verlassen …

Utoya 22. Juli: Brillante Kamera

Erik Poppe hat meisterhaft verstanden,wie er das Publikum sofort ins Geschehen miteinbeziehen kann. Durch die herausragende Kamerarbeit von Martin Otterbeck sind wir ein unsichtbarer Begleiter Kayas. Wir fliehen mit ihr zusammen, hocken mit ihr im Dreck und sehen uns gemeinsam mit ihr nach dem oder den Schützen um. Immer dicht am Geschehen werden wir dennoch nie wahrgenommen, sondern bleiben in der Rolle des Beobachters. Und die ist ungemein schmerzlich und bedrückend. Das alles erzählt Poppe ohne sichtbaren Schnitt.

Und bleibt in seinem Film stets konsequent. Der Zuschauer weiß natürlich, was gerade wirklich passiert, aber in der Rolle des Begleiters von Kaya erfährt er nicht mehr als sie. Und in deren Gesicht spiegelt sich dank großartiger schauspielerischer Leistung das ganze Grauen dieses Tages wider. 72 Minuten dauerte das Massaker an fast 70 Kindern und Jugendlichen und Poppe erzählt das in Echtzeit. Und so können wir dem Grauen genauso wenig entkommen wie Kaya und ihre Freunde.

Utoya
Kaya versucht alles, um auf Utoya dem Tod zu entgehen.

Utoya 22. Juli: Darf man das?

Warum Erik Poppe sich entschieden hat, einen fiktiven Film über das Massaker zu machen, anstatt eine Dokumentation zu drehen, ist nicht bekannt. Aber er muss sich die Kritik gefallen lassen, die beispielsweise auch Oliver Stones „JFK“ traf, denn beide Filme vermischen Fakten und reale Ereignisse mit zusätzlicher Fiktion. Das mag dramaturgisch seine Gründe haben, verwässert aber gleichzeitig die Wucht des Films und lässt dem Zuschauer ein Schlupfloch, denn „das ist ja doch nicht genauso passiert, wie hier gezeigt.“

Natürlich darf Poppe trotzdem so einen Film drehen. Und er bringt die schrecklichen Emotionen, die diese Menschen durchleiden mussten, beeindruckend auf die Leinwand. Zudem würdigt er den Täter Breiwik fast keines Blickes, lässt ihn nur einmal kurz als verschwommene Gestalt auftauchen. Poppe sieht sich als Anwalt der Opfer, ob tot oder lebendig. Doch gerade durch die erfundenen Figuren und Handlungen mildert Poppe ein wenig das wirkliche Grauen von Utoya. Angesichts einer so unbegreifbaren Tat aber auch verständlich.

Letztlich muss jeder Zuschauer selbst wissen, ob er sich diese furchtbare Erfahrung antun will, neben einem sterbenden Mädchen zu sitzen oder Kinder in Schockstarre in Sicherheit bringen zu wollen. Denn mehr als Leid und Wut über die Tat, die der rechtsradikale Breiwik angerichtet und bis zum heutigen Tage nicht bereut hat, bietet der Film nicht. Hier gibt es keine Erlösung, keine Erklärung, nur Terror und Tod. Diesen Film muss man eher aushalten als ansehen. Denn Helden, die den Tag retten, wie das sonst im Kino gerne passiert, tauchen hier nicht auf.

Fazit:

Ob Erik Poppe mit seinem Film den Toten und Überlebenden von Utoya tatsächlich ein Denkmal setzt oder ihr Leid zu kommerziellen Zwecken nutzt, darüber lässt sich streiten. Utoya 22. Juli ist unstrittig ein handwerklich starker Film, der sich aber durch die Vermischung von Fakten und Fiktion angreifbar macht. Und jedem, der ins Kino geht, muss klar sein, dass er jungen Menschen beim Kampf ums Überleben zusieht, die es zumindest so ähnlich gegeben hat.

Utoya 22. Juli startet am 20. September in den deutschen Kinos.